…oder: Inklusion fängt bei mir selbst an.
Im Kopf… im Herz… in meiner Art, wie ich die Welt sehe.
In meinen Beratungsgesprächen und -workshops werde ich oft gefragt: „Wie macht man das denn? Wo fängt man an? Wie gehe ich „richtig“ mit aggressiven, ängstlichen oder behinderten Menschen um? Wie viel Toleranz ist angemessen? Wie setze ich Grenzen? Wie bereite ich den perfekten Unterricht vor, der alle erreicht und teilhaben lässt? Wie gestalten wir unseren Arbeitsplatz so, dass alle sich möglichst wohl fühlen? Wie komme ich besser mit ’schwierigen‘ Menschen in meiner Umgebung klar? Welches Buch, welche Ansprache, welches Material ist hilfreich? Wie erreiche ich selbst, dass ich mehr Teilhabe an Entscheidungsprozessen in dem System, in dem ich lebe/arbeite, haben kann?“
Ganz ehrlich? Ich wäre froh, wenn die Antworten darauf so einfach wären…
Es kostet viel Zeit, um sich ernsthaft mit einer dieser Fragen auseinander zu setzen. Worum geht es genau? Wie hast du es bisher gemacht? Wem willst du beweisen, dass etwas „perfekt“ ist? Wie definierst du solche Begriffe wie ‚erfolgreich‘, ‚angemessen‘ oder ’schwierig‘? Warum beschäftigt dich das Thema gerade so sehr, dass du dafür Tipps haben möchtest? Welche Werte sind dir wichtig? Warum? Willst du einfach nur eine Anleitung, die du kopieren kannst, auch wenn sie evt. überhaupt nicht deinem Naturell entspricht? Oder willst du nach einer versuchten Umsetzung des Tipps sagen können: „HA! Wusste ich es doch: das funktioniert auch nicht!“? Glaubst du wirklich, dass es eine Universallösung für alle gibt?
Jeden Tag im Alltag gibt es genug Gelegenheiten, wahrzunehmen, wie unterschiedlich Menschen sind.
Ich liebe es z.B. in einer bestimmten Café-Kette zu beobachten, wie sich die Kunden während der Bestellung an der Theke verhalten. Routiniert, weil man die Auswahl/ das Prozedere schon kennt. Unsicher, weil man das erste Mal da ist. Blick stur auf die Auswahltafel gerichtet. Falsch ausgesprochene Getränkenamen. Mit Lactose oder ohne. Freundlicher Smalltalk mit dem Barista. Nebenher bestellen mit Blick auf dem Smartphone, Musik im Ohr, telefonierend oder ins Gespräch mit der besten Freundin vertieft. Gut oder schlecht gelaunt. Entspannt oder gehetzt. To go oder to stay…
Allein diese Vielfalt für „sich einen Kaffee bestellen“.
Vielfalt ist allgegenwärtig. In vielen kleinen Dingen. In verschiedenen Stimmungen. In Alltagsritualen, Experimenten, neuen Erfahrungen und selbst am gleichen Ort immer wieder anders.
In der Begegnung mit verschiedenen Leuten verhalte ich mich auch unterschiedlich. Bereits bei der Begrüßung gibt es Unterschiede. Spreche mal Smalltalk, mal Fachchinesisch oder umgangssprachlich. Passe mich meinem Gesprächspartner an oder eben bewusst nicht. Spüre Gemeinsamkeiten, gleiche Wellenlänge oder unüberbrückbare Differenzen und trete unabsichtlich in ein Fettnäpfchen. Mag jemanden, weil sie/er mir ähnlich ist oder eben aufgrund ihres / seines „Anders sein“! Kann jemanden nicht ausstehen, weil sie/er mir so unähnlich zu sein scheint. Außer vielleicht an sonnigen Donnerstagen, denn dann bin ich immer besonders gut gelaunt und tolerant…
Eine inklusive Haltung bedeutet als für mich zunächst einmal: Blick in den Spiegel und mal hinterfragen, wer mich da so anguckt. Akzeptieren, dass ich selbst vielfältig und besonders bin. Dass ich gute und schlechte Seiten habe. Dass ich in unterschiedlichen Lebensphasen andere Schwerpunkte im Denken, Fühlen und Handeln setze. Dass ich mit meiner Art nicht jedem Menschen gefallen kann. Dass meine Rituale und Bedürfnisse bei jemand anderem für Belustigung, Desinteresse oder Unverständnis sorgen können. Dass ich manchmal die ungeschriebenen Gesetze eines anderen, einer Gruppe oder gar eines komplexen Systems einfach nicht kapiere. Mich dann ausgegrenzt fühle. Weil ich anders zu sein scheine. Weil ich gerne teilhaben möchte, um mich akzeptiert / respektiert zu fühlen…
Hmm… Zugehörigkeit scheint also eigentlich ein Grundbedürfnis von mir, von allen zu sein. Mal mehr, mal weniger.
Ich selbst erlebte ja bereits im Landtag, wie schwierig TEILHABE manchmal sein kann. Dass ich selbst nicht genau hätte benennen können, welche Hilfestellung denn nun auch wirklich die Richtige für mich gewesen wäre…
Da hilft nur eins: ausprobieren! Sich selbst besser kennen lernen! Mit anderen in den Dialog treten… nachfragen, gemeinsam Ideen entwickeln… und dann: MEHR von dem, was gut funktioniert hat!
Inklusion ist in meinem Verständnis ein Prozess, eine Haltung.
Je besser ich mich selbst kenne und weiß, was mir im privaten und beruflichen Umgang mit Menschen gut tut, desto selbstbewusster kann ich in den Kontakt gehen. Um Verständnis bitten. Selbst Vorkehrungen treffen, um mir Teilhabe oder Wohlfühlen zu ermöglichen. Fragen stellen, wenn ich etwas nicht verstehe. Herausfinden, was die / der andere braucht, um an einem Gespräch, einer Veranstaltung oder überhaupt an Begegnung teilhaben zu können.
Am Anfang steht für mich also die eigene Person. Die eigenen Werte, Wohlfühlfaktoren, Grundbedürfnisse und das Gefühl, genau SO „richtig“ zu sein. Ein Gespür dafür zu bekommen, wie ich bisher Vielfalt sehe und erlebe. Neugierig zu werden, ob und wie ich dabei Vorurteile entwickle. Ängste empfinde. Unsicherheit spüre. Belustigt Erlebnisse wiedergebe. Sachliche Informationen zusammentrage, um mich selbst zu hinterfragen oder fehlendes Wissen verringere. Ob ich an meiner derzeitigen Einstellung etwas ändern möchte oder gar muss. Wer mich dabei unterstützt. Ob ich meine Grenzen, meinen bisherigen Blick nicht doch noch mehr ausweiten kann… auf meine Art und in meinem Tempo.
In der Hoffnung, dass es irgendwann endlich selbstverständlich wird, dass Vielfalt existiert und somit eine bunte Mischung an Angeboten erforderlich ist, um möglichst vielen im Alltagsgeschehen das Gefühl von Teilhabe und Zugehörigkeit zu vermitteln.